Der junge Bär

Es war ein herrlicher Frühlingstag im Märchenwald Steiermark. Papa Bär war gerade auf dem Weg nach Hause. Er nahm, wie immer, die Abkürzung durch den Wald, auch wenn er dabei am Lebkuchenhaus der Hexe vorbei musste.

Er hatte keine Angst vor der Alten. Schließlich war er ein großer und starker Bär, vor dem jeder im Märchenwald Respekt haben sollte.

Der Geruch feiner Lebkuchen stieg ihm in die Nase und er hätte sich zu gern ein Stückchen abgebrochen. Doch er wusste genau, dass die Hexe ihm dann Ärger machen würde.

Also ging er weiter und pflückte hier ein paar Beeren, dort einen schmackhaften Pilz oder ein leckeres grünes Blättchen. Unter einem dicken Baum machte er Rast und wäre um ein Haar eingenickt, wenn… Ja, wenn da nicht dieses Blatt Papier direkt vor seine Füße geflattert wäre.

Es war eine Seite aus einem uralten Hexenbuch. Die krakelige Schrift war kaum zu entziffern, doch Papa Bär ließ nicht locker und dann las er, was dort geschrieben stand:

„WIE MAN JÜNGER WIRD“

Papa Bärs Herz klopfte wie wild. Unter der Überschrift stand ein seltsames Wort, welches man dreimal sagen sollte.

Er überlegte nicht lang und sprach:

„JUNIORE – JUNIORE – JUNIORE“

Ein Nebel hüllte ihn ein und er fühlte sich seltsam leicht. Als der Nebel sich verzogen hatte, merkte er, dass er klein wie seine Kinder geworden war. So hatte er sich das natürlich nicht vorgestellt. Etwas jünger zu sein war natürlich toll, aber ein Kind?

Nervös drehte er das Blatt Papier hin und her, doch nirgends fand sich ein Spruch, der den Zauber wieder rückgängig machte.

Leise weinend begab er sich auf den Weg nach Hause.

Mama Bär öffnete auf sein Klopfen die Tür. Doch als er ihr unter Tränen erzählte, was geschehen war, sah sie ihn nur ungläubig an: „Ist das dein Ernst? Ich bin also jetzt mit einem KIND verheiratet? Und das alles, weil du unbedingt jünger sein wolltest?“ Mama Bär war außer sich: „Mach das rückgängig! Egal wie. Was soll man denn von mir denken, wenn ich mit einem Kind verheiratet bin!“

Papa Bär schluchzte: „Ich wollte ja kein Kind sein! Nur etwas jünger!“

„Am besten gehst du zu deinem Freund Mauli!“, sagte Mama Bär, die nun doch etwas Mitleid mit ihm hatte. „Vielleicht kann er dir irgendwie helfen.“

Papa Bär nickte traurig und verließ mit gesenktem Kopf das Haus. Wenig später klagte er Mauli, dem Maulwurf sein Leid.

„Du hast also wirklich eine Seite aus dem Hexenbuch gefunden?“, wollte Mauli wissen. „Ja!“, sagte Papa Bär und zeigte ihm das Blatt. „Dann weiß ich, wie wir den Zauber wieder rückgängig machen!“, meinte Mauli augenzwinkernd, nahm den kleinen Papa Bär an die Hand und dann spazierten beide zum Hexenhaus.

Mauli klopfte.

„Was willst du von mir?“, krächzte die Hexe.

„Ich habe etwas Wertvolles für dich!“, sagte Mauli. „Und zwar eine Seite aus einem alten Hexenbuch.“

Interessiert schaute die Hexe sich das Blatt an und fragte eifrig: „Was willst du dafür haben?“

„Ich möchte, dass du bei Papa Bär den Hexenspruch rückgängig machst. Er hat nämlich getestet, ob der Spruch funktioniert.“

„So so, hat er das?“, kicherte die Alte, doch dann holte sie ihren Zauberstab, legte ihn auf Papa Bärs Kopf und sagte dreimal laut:

„RETRORSUM“

Plötzlich hüllte ein grauer Nebel den kleinen Bären ein und als sich der Nebel lichtete, stand dort wieder Papa Bär, wie man ihn kennt. Groß und stark.

„Danke!“, sagte Mauli und reichte der Alten – wie versprochen – die Seite aus dem Hexenbuch. Blitzschnell umschlossen ihre langen, knöchernen Finger die Buchseite und sie verschwand grinsend damit im Hexenhaus.

„Sie wird sich jetzt wohl wieder jung hexen“, meinte Mauli lachend und Papa Bär stimmte in das Lachen ein. Dann bedankte er sich bei seinem Freund für die rettende Idee. Und als er zum Bärenhaus zurückkehrte, schloss Mama Bär ihn unter Freudentränen in den Arm und sagte: „Bitte mach so etwas nie mehr wieder! So wie du bist, bist du mir am allerliebsten. „Und Papa Bär gelobte hoch und heilig, nie wieder einen Hexenspruch auszuprobieren.

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